Bolivien
Steckbrief
Schwerpunkt: Fiskaldezentralisierung
Beratung des bolivianischen Autonomie- und Finanzministeriums zu unterschiedlichen Aspekten der Gestaltung und Umsetzung des Finanzausgleichs.
Hintergrund für das Interesse der bolivianischen Partner ist das Ziel der bolivianischen Regierung, im Rahmen eines noch auszuhandelnden Fiskalpaktes die Finanzbeziehungen zwischen den staatlichen Ebenen (Zentralstaat, Departemente und Gemeinden) neu zu regeln.
Vom Partner gewünschte Unterstützungsbereiche:
- Mechanismen des kommunalen und des Länderfinanzausgleiches
- Dialog- und Diskussionsmechanismen zwischen den staatlichen Ebenen zur Aushandlung der Finanzbeziehungen
- Modelle oder Methoden zur Berechnung von Kosten, die sich aus der jeweiligen Zuteilung von Kompetenzen und Ausgaben zwischen den staatlichen Ebenen (Zentralstaat, Gebietskörperschaften) ergeben.
- Erhöhung der Steuereinnahmen der lokalen Verwaltungen
Laufzeit: Dezember 2016 - Dezember 2018, ca. zwei Jahre
Unterstützungsangebote:
- Studienreisen
- Moderierter Fach- und Erfahrungsaustausch in Deutschland und Bolivien mit Experten und Praktikern aus Deutschland
- Nutzung von Expertennetzwerken
- Kurzzeiteinsätze von deutschen Experten und Praktikern in Bolivien
Was bisher geschah
Kick-off-Planungsworkshop im Dezember 2016 in Deutschland

Anfang Dezember 2016 traf sich eine hochrangige bolivianische Delegation unter der Leitung des bolivianischen Vizeministers für Autonomien, bestehend aus Mitgliedern des Nationalen Dezentralisierungsrates, Fachpersonal der Ministerien für Finanzen und Autonomien und jeweils einem Vertreter der Departemente und Gemeinden, mit dem Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Herrn Werner Gatzer, mit der Schleswig-Holsteinischen Finanzministerin Monika Heinold, mit hochrangigen Beamten des Hessischen Finanzministeriums, mit Vertretern des Bundesrats und mit Vertretern des Deutschen Städtetags sowie anderen deutschen Stakeholdern, um sich über das System und die Erfahrungen mit dem Finanzausgleich in Deutschland zu informieren. Im Anschluss an diese Gespräche nahm die Delegation an der Auftaktveranstaltung des SOB und einem eintägigen Planungsworkshop teil.
Die bolivianische Delegation unterstrich insbesondere ihr Interesse an drei Aspekten des deutschen Finanzausgleichs: Erstens die Ausgestaltung von Dialog- und Verhandlungsmechanismen, die zur Aushandlung der Vereinbarungen zum Finanzausgleich zwischen verschiedenen staatlichen Ebenen und zwischen Gebietskörperschaften einer Ebene (Länder, Gemeinden) dienen; zweitens Prinzipien des Finanzausgleichs und der Zuordnung von Einnahmen an Bund, Länder und Gemeinden/Kreise sowie Mechanismen der Zusammenarbeit zwischen diesen staatlichen Ebenen bei der Erhebung von Abgaben; drittens bestand ein hohes Interesse daran nachzuvollziehen, welche Modelle oder Methoden in Deutschland angewandt werden, um Bund, Ländern und Gemeinden Aufgaben zuzuordnen und Kosten der Erbringung kommunaler Dienstleistungen zu berechnen.
„Natürlich können und wollen wir den hessischen kommunalen Finanzausgleich nicht auf Bolivien übertragen, aber inspiriert haben wir die Partner allemal. Eine Erkenntnis war, dass Verwaltung jenseits aller Grenzen ähnlich tickt und pragmatische Lösungen anstrebt. Die Umsetzungschancen stehen gut, wenn ein Ausgleich zwischen den Beteiligten gelingt und es dabei wenig Verlierer gibt."
Peter Mandler und Dr. Gerrit Rüdiger, Hessisches Ministerium der Finanzen
Expertenentsendung im April 2017 nach Bolivien
Im Nachgang der Fachgespräche und des Planungsworkshops wünschten sich die Delegationsmitglieder ganz konkret eine weitere Begleitung und Unterstützung des Reformprozesses durch Verwaltungsbeamte des Hessischen Ministeriums für Finanzen. Die beim Treffen im hessischen Finanzministerium diskutierte Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs in Hessen im Jahr 2016 stieß bei den bolivianischen Partnern auf großes Interesse. Beschlossen wurde ein vertiefter Austausch mit Mitarbeitern des Ministeriums, um den Prozess der Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs in Hessen kennenzulernen und Elemente davon für den anstehenden Reformprozess des Finanzausgleichs in Bolivien zu nutzen.
Im April 2017 reisten daher zwei Mitarbeiter des hessischen Finanzministeriums gemeinsam mit Dr. Jan Werner, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Cologne Business School, der auf Fragen des Finanzausgleichs spezialisiert ist, nach La Paz. Im Rahmen eines Workshops erläuterten und diskutierten sie dort mit Mitarbeitern der zentralstaatlichen Verwaltung und aus Gebietskörperschaften Boliviens den kommunalen Finanzausgleich in Hessen und den Länderfinanzausgleich in Deutschland. Im Rahmen von Arbeitsgruppen und anhand von Praxisbeispielen stellten die Teilnehmer auch gemeinsam Überlegungen zu Prinzipien und Optionen für die Reform und Ausgestaltung des Finanzausgleichs in Bolivien an. Die bolivianische Seite nutzte somit diese Chance, ihre eigenen Reformüberlegungen mit neuen Ideen voranzubringen.
Im Juli 2017 reiste Dr. Jan Werner zu einem zweiten Beratungseinsatz nach La Paz, um Workshops mit weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des nationalen Dezentralisierungsrates einschließlich Vertretern der politischen Ebenen durchzuführen und an einer Sitzung der Technischen Kommission des Fiskalpaktes teilzunehmen. Nach den aktuellen Planungen wird Bolivien im Oktober 2017 die Reform des Finanzausgleichs beschließen.
Folgende Kernbotschaften haben die Teilnehmer aus dem Austausch mit den deutschen Kollegen für die weiteren Verhandlungen zum bolivianischen Fiskalpakt und Finanzausgleich mitgenommen:
- Finanzausgleichssysteme leben davon, dass der Stärkere seinen Reichtum mit dem schwächeren teilt. Durch Finanzausgleichssysteme können übermäßige Finanzkraftunterschiede zwischen einzelnen Gemeinden verringert werden, damit diese eine annähernd gleiche Versorgung mit öffentlichen Grunddienstleistungen bereitstellen.
- In Deutschland trägt der kommunale Finanzausgleich dazu bei, den im Grundgesetz verbrieften Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu verwirklichen. Durch den Umverteilungsmechanismus wird sichergestellt, dass Gemeinden mit schwacher Finanzkraft (geringen Steuereinnahmen), eine annähernd gleiche Mindestversorgung mit öffentlichen Dienstleistungen für ihre Bürger sicherstellen können, wie Gemeinden mit hohen Steuereinnahmen.
- Ein funktionsfähiger Finanzausgleich braucht ein Nivellierungsverbot. Das heißt, die gegebenen Ungleichheiten in der Steuerkraft der Gemeinden sollen durch den Finanzausgleich angemessen ausgeglichen, aber nicht gänzlich eingeebnet werden. Ansonsten bestünden insbesondere für finanzstarke Gemeinden keine Anreize mehr, ihr Steuerpotential zu heben bzw. neue Steuereinnahmen zu erschließen.
- Die Reform eines Finanzausgleichssystems ist eine „Mammutaufgabe“, die viel Zeit, Arbeit sowie die Kompromissbereitschaft aller beteiligten Parteien benötigt.
- Der Grunderfolg des deutschen Modells basiert auf einer funktionierenden Konsensdemokratie und dem Wunsch aller beteiligten Akteure, sich zu einigen
- Eine einheitliche Außenkommunikation der Ergebnisse von Arbeitssitzungen ist entscheidend, da individueller öffentlicher Dissens die Konsensbildung behindert
- Das Solidaritätsprinzip der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ist eine wesentliche politische Leitentscheidung, die dem deutschen Finanzausgleich zugrunde liegt
- In Deutschland erhebt die Steuerverwaltung der Länder Abgaben für die Kommunen. Diese Zusammenarbeit ist in Deutschland eine wichtige Voraussetzung für die effiziente Erhebung von Einnahmen der Gemeinden und damit auch für einen funktionierenden Finanzausgleich
- Die Erschließung neuer Steuerquellen wie die Einkommenssteuer zur Finanzierung des Finanzausgleichs.
Für die deutschen Beamten, die in Bolivien waren, hat sich der Einsatz allemal gelohnt.
Man lernt die eigene Verwaltungskultur mit ihrer Regelgebundenheit und Eigenverantwortung stärker zu schätzen und bekommt einen besseren Blick auf die ungleich höheren Anforderungen an die Verwaltung in einem Land, das kaum über belastbare Statistiken verfügt und dessen finanzielle Ressourcen nicht nur geringer sondern auch zwischen den Regionen deutlich ungleichmäßiger verteilt sind als in Deutschland. Dabei dürfte die Bedeutung dieses Projekts angesichts der rapide wachsenden Bevölkerung in der Zukunft noch weiter zunehmen.
Peter Mandler und Dr. Gerrit Rüdiger, Hessisches Ministerium der Finanzen
Referent des Bundesrats reiste im Februar 2018 nach Bolivien

Auf Wunsch der Partner reise reiste Christian Rodenberg, Referent des Finanzausschusses des Bundesrats, im Februar 2018 für einen Kurzzeiteinsatz nach Bolivien. Die Partner hatten Herrn Rodenebrg während ihrer Delegationsreise im Dezember 2016 kennengelernt und wünschten sich einen breiteren Austausch mit ihm. Ziel der Reise war es, den Vertreterinnen und Vertretern der Regierung und verschiedener politischer Institutionen in La Paz und in den Regionen die Feinheiten des föderalen Systems und des Finanzausgleichs näher zu bringen und die Möglichkeit einer Adaption und Implementierung in Bolivien zu besprechen. Neben einer Einführung in die Gesetzgebung und das föderale System in Deutschland ging es auch um die sehr ausdifferenzierte Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Auch die Organisation und die Funktionen des Verfassungsorgans Bundesrat wurden in einem Vortrag erläutert. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten aktuelle Informationen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen und deren Neuordnung ab 2020.
Herr Rodenberg führte Gespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowohl des Vizeministeriums für kommunale und regionale Autonomien und weiteren Ministerien als auch mit Mitgliedern des Nationalparlaments unterschiedlicher Parteizugehörigkeit, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Abgeordneten sowie Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Departamentos. Zu den Veranstaltungen in Cochabamba und Sucre kamen vor allem Politiker der lokalen Ebene.
In den Diskussionsrunden nach den Vorträgen zeigte sich insbesondere großes Interesse an dem Aufbau der föderalen Strukturen. Gerade diejenigen, die eher dem oppositionellen Lager Boliviens zuneigen, betonten, dass sie sich tiefgreifende Reformen wünschen, um in Bolivien für starke, dezentrale Strukturen zu sorgen. In zahlreichen Wortbeiträgen und Fragen in allen Veranstaltungen wurde deutlich, dass in Bolivien ein Reformprozess in Gang gekommen ist, der jedoch noch ganz am Anfang steht und dessen Zielsetzung noch weitgehend unklar ist.
Weitere Informationen in Rodenbergs Reisebericht